Tandems der besonderen Art - Das Neuköllner Projekt „KlingelZeit“ bringt Menschen zusammen
Neukölln, das klingt für viele Menschen wahlweise nach der trubeligen Sonnenallee oder nach den vielen Cafés, Kneipen und Restaurants, die besonders junge Menschen seit vielen Jahren in den Bezirk ziehen. Dabei übersieht man jedoch, dass gut ein Viertel der Menschen bereits über 60 Jahre alt ist, der Anteil der Seniorinnen und Senioren damit also recht hoch ist.
Arne Klettke und Sarah Hannusch vom Projekt KlingelZeit haben Jutta Jacobs und Hilmer Wagner zusammengebracht.
Mit dem Alter steigt oft auch die Einsamkeit. Die Familie ist unter Umständen weiter weg, langjährige Freunde sterben, die Gesundheit nimmt ab, und man geht weniger raus, hat weniger Kontakt mit anderen Menschen. Das Projekt „KlingelZeit“, eine Kooperation des Bezirksamts Neukölln und der AWO Kreisverband Südost e.V. will genau hier Abhilfe schaffen.
Den Anstoß gab die Corona-Zeit. Damals organisierte das Neuköllner EngagementZentrum (NEZ) eine direkte Nachbarschaftshilfe. Personen, die
aufgrund des Lockdowns oder einer Corona-Erkrankung nicht vor die Tür konnten, wurden mit Freiwilligen vernetzt, die Einkäufe erledigen oder
anderweitig helfen konnten. Dabei fiel auf, dass viele ältere Menschen vor allem eins sind: einsam. Natürlich gibt es im Bezirk Pflegedienste und -einrichtungen, die sich um Menschen mit Pflegestufen und Pflegebedarf kümmern. Aber wo wenden sich Seniorinnen und Senioren hin, die keinen Pflegebedarf haben – aber gerne mehr Kontakte hätten? Seit Oktober 2021 haben sie in Süd-Neukölln mit dem Projekt „KlingelZeit“ eine konkrete Anlaufstelle. Seit Anfang dieses Jahres konnte das Angebot sogar auf ganz Neukölln ausgebaut werden.
„Wir hatten von Beginn an eine große Unterstützung durch das Bezirksamt und den Bezirksbürgermeister Martin Hinkel für das Projekt“, berichtet Arne Klettke von „KlingelZeit“. Durch den Bezirk wurden an alle Einwohner und Einwohnerinnen ab einer bestimmten Altersgrenze Briefe versendet, die
auf das Projekt aufmerksam machten – mit Unterschrift des Bezirksbürgermeisters. „Die Nachfrage war dementsprechend groß“, ergänzt Sarah Hannusch vom Projekt. Doch nicht nur Menschen, die sich Besuch wünschten, meldeten sich. Unter den Angeschriebenen war auch Jutta Jacobs, selbst schon über 70 Jahre. „Ich bin bereits in der Kirche aktiv, wollte mich aber noch an anderer Stelle engagieren. Als ehemalige Lehrerin wollte ich nicht wieder etwas mit Kindern machen. Da kam der Brief genau zur richtigen Zeit.
Der erste Schritt für alle Beteiligten ist ein Gespräch mit den Verantwortlichen des Projektes im NEZ. Hierbei geht es neben den Interessen und Vorstellungen rund um den oder die Tandempartner*in auch um die Klärung der Grundlagen: Neben allgemeinen Spielregeln, auf die sich alle verpflichten, ist auch die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses notwendig. Nach dem ersten Treffen werden die Erwartungen und Interessen von Freiwilligen und den Menschen mit Besuchswunsch gegeneinander gelegt und Paare gebildet.
Das erste Kennenlernen der Tandempaare findet ebenfalls in den Räumen des Projektes statt. Wenn alle einverstanden sind, werden die Kontaktdaten ausgetauscht. Von nun an können sie ihre Treffen selbst planen. Im Hintergrund bleibt „KlingelZeit“ immer ansprechbar. „Es kommt auch
vor, dass es in einem Tandem nicht funktioniert – einseitig oder beidseitig. Dann vermitteln wir und machen klar, dass es in Ordnung ist, wenn es nicht passt. Niemand soll durch das Projekt ein schlechtes Gewissen bekommen“, erklärt Sarah Hannusch. „Wir bieten auch regelmäßig Workshops für unsere Freiwilligen an, etwa zum Thema ‚Nähe und Distanz‘. Aktuell bauen wir dieses Angebot noch weiter aus.“
Im Fall von Jutta Jacobs hat es direkt gefunkt. Das bleibt auch Arne Klettke nicht verborgen: „Die beiden sind vielleicht unser ältestes Tandem, und wohl auch unser aktivstes.“ Denn Hilmer Wagner ist mit seinen über 90 Jahren weiterhin leidenschaftlicher Radfahrer. Für ihn passte es ebenfalls perfekt, als ihn eine Mitarbeiterin der AWO auf das Projekt aufmerksam machte. „Viele Menschen sind ja schon mit 70 Jahren nicht mehr aktiv. So ging es mir auch mit vielen meiner ehemaligen Arbeitskollegen und Freunden. Ich war im Prinzip alleine, und da war ‚KlingelZeit‘ ideal.“
Neben gemeinsamen Spaziergängen stehen nun zwischen Frühling und Herbst auch Radtouren durch Süd-Neukölln oder sogar Ausflüge ins Umland auf dem Programm. „Im Winter ist es mir zu kalt, aber er fährt natürlich trotzdem“, erzählt Jutta Jacobs lachend. „Besonders schön ist, dass wir nicht nur bei unseren Aktivitäten gut zusammenpassen, sondern auch bei unseren Ansichten auf einer Wellenlänge liegen.“ Im Gegensatz zu vielen anderen Tandems haben die beiden keine festen Tage. „Wir telefonieren und vereinbaren dann spontan den Termin. Das klappt sehr gut.
Im Moment betreut „KlingelZeit“ 16 Tandempaare. Dank der Förderung aus dem Programm „Freiwilliges Engagement In Nachbarschaften“ sowie durch das Bezirksamt Neukölln und die Ausweitung auf Nordneukölln werden es in Zukunft sicher noch mehr – die Wartelisten sind schon gefüllt, sowohl bei den Freiwilligen als auch bei den zu Besuchenden.
Gemeinsam Solidarisch Leben in Neukölln
„KlingelZeit“ ist ein Besuchs- und Begleitprojekt, in dem Ehrenamtliche den Alltag von Seniorinnen und Senioren aus Neukölln unterstützen und mit ihnen Zeit verbringen. Das Projekt richtet sich an Seniorinnen und Senioren, die sich über Gesellschaft und Unterstützung freuen, aber keine Pflegestufe oder maximal Pflegegrad 1 besitzen. Das Angebot ist kostenlos und ersetzt keinen professionellen Pflegedienst oder Haushaltshilfen.
Für Neukölln
c/o Neuköllner EngagementZentrum (NEZ)
Tel.: +49 176 58858291
E-Mail: klingelzeit@nez-neukoelln.de
Telefonische Erreichbarkeit:
Montag, Dienstag und Donnerstag 10:00 bis 15:00 Uhr
Für Britz, Buckow, Rudow und die Gropiusstadt
c/o AWO ExChange
Tel.: +49 176 73220015
E-Mail: klingelzeit@nez-neukoelln.de
Telefonische Erreichbarkeit:
Dienstag, Mittwoch und Donnerstag 10:00 bis 16:00 Uhr