Chronik, Teil I: "Knapper Wohnraum"
Nach Kriegsende sind knapp 50 Prozent der Wohnungen in Berlin zerstört.
© Ursula Röhnert_picture-alliance
1924 wurde in Berlin die „Märkische Scholle“ Siedlungsgesellschaft mbH gegründet. Der Name sagt Ihnen nichts? Die Gesellschaft war der direkte Vorläufer der heutigen STADT UND LAND. Wir schauen in diesem Jahr also zurück auf einhundert Jahre Firmenhistorie und ein Jahrhundert Berliner Geschichte. Dazu haben wir vier Themengebiete ausgewählt: „Knapper Wohnraum“, „Unruhige Zeiten“, „Nachhaltigkeit“ und „Menschen“. Lesen Sie in dieser Ausgabe den ersten Teil einer Chronik.
Die Geschichte der STADT UND LAND beginnt im Juli 1924, wenn auch unter einem anderen Namen. Mit dem unterzeichneten Gesellschaftervertrag nahm die „Märkischen Scholle“ am 2. Juli 1924 Gestalt an. Fünf Tage später folgte die Eintragung in das Handelsregister. Die Aufgabe der damaligen Siedlungsgesellschaften war es, Land zu erwerben und darauf Wohnraum zu schaffen.
Die „Märkische Scholle“ war der Zusammenschluss eines Siedlervereins und einer Genossenschaft – unter dem gemeinsamen Dach einer GmbH – mit dem wichtigen Ziel, die seinerzeit akute Wohnungsnot zu lindern und menschenwürdigen Wohnraum zu schaffen. Knapper Wohnraum damals wie heute – das ist leicht gesagt. Und doch lässt sich beides nicht direkt vergleichen: Im Berlin der frühen Zwanzigerjahre herrschte in weiten Teilen der Bevölkerung bitterste Armut. Nach dem Ersten Weltkrieg startete die Weimarer Republik mit der schweren Hypothek, die Ärmsten der Armen kaum versorgen zu können. Dunkle, feuchte Wohnungen mit Außentoilette in tief gestaffelten Höfen der Mietskasernen waren für einen Großteil der Berliner Bevölkerung der Alltag. Die Wohnungen waren zudem meist überfüllt belegt. Und wer tagsüber einer Arbeit nachgehen konnte, hat sein Bett während dieser Stunden oft an einen Schlafgänger vermietet. Das waren in der Regel Tagelöhner, die nachts gearbeitet haben, sich keine eigene Wohnung leisten konnten und sich deshalb stundenweise in fremde Wohnungen einmieteten.
Nur aus dieser schweren Not heraus ist es auch zu erklären, dass 1920 überhaupt Berlin als Stadt, wie wir sie heute kennen, gegründet wurde: Mit dem „Groß-Berlin-Gesetz“ wurde Berlin aus sieben Stadtgemeinden, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirken zu einer Metropole vereinigt. Eingeführt wurde eine zweistufige Verwaltung, bestehend aus dem Magistrat für die Gesamtstadt und der kommunalen Ebene für die 20 neu geschaffenen Bezirke mit den entsprechenden Bezirksverwaltungen.
Die drängendsten Probleme dieser Zeit waren die Versorgung der armen Bevölkerung und die Schaffung von Wohnraum – von öffentlicher wie privater Hand, mit einer menschenwürdigen Architektur und Stadtplanung, die den Menschen „Licht, Luft und Sonne“ verschaffen wollte. Mit diesem viel zitierten Credo sind die fortschrittlichen Architekten und Städteplaner der Weimarer Zeit angetreten und haben das Bauen und Wohnen revolutioniert. Die Pioniere des Bauhauses haben diese Losung später auch in die ganze Welt hinausgetragen.
Neben den Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs war es auch die Hyperinflation von 1923, die Politik und Wirtschaft vor schwere Herausforderungen stellte. Umso beeindruckender sind aus heutiger Perspektive die Weichenstellungen, die in den frühen Zwanzigerjahren vorgenommen wurden und „Moderne Zeiten“ eingeläutet haben.
So lassen sich auch die Ursprünge der heutigen STADT UND LAND einordnen: Die „Märkische Scholle“ schrieb bereits in ihrem ursprünglichen Gesellschaftervertrag fest, dass ihr Wirken gemeinnützig, also nicht gewinnorientiert sei und den Zweck habe, Siedlungswohnungen zu „billigen Preisen“ zu schaffen. Eine Pionierleistung, sollte der Begriff der Gemeinnützigkeit in diesem Sinne doch erst sechs Jahre später gesetzlich geregelt werden.
Noch im Gründungsjahr entstanden in Wittenau und Britz 29 Kleinhäuser, die zu günstigen Konditionen verkauft wurden. Später folgte u. a. die Gartenheimsiedlung „Grüner Winkel“ in Neuenhagen (im heutigen Land Brandenburg) mit 100 Wohnungen, über deren bauliche und architektonische Qualität die Fachpresse positiv urteilte: „Die ganze Anlage ist sehr sachlich und wird infolge der geschickten Zusammenstellung der Gruppen einen anheimelnden Eindruck machen.“
Bereits zwei Jahre nach der Gründung wurde die Gesellschaft umbenannt. Von der neuen „Stadt und Land“ Siedlungsgesellschaft mbH bis zur STADT UND LAND Wohnbauten-Gesellschaft mbH sollten dann noch weitere fünf Jahre vergehen. Bis zu diesem Zeitpunkt im Jahr 1931 hatte das Unternehmen bereits 2.400 Wohnungen im Bereich Groß-Berlin gebaut. Der selbst gegebene Auftrag ging für die STADT UND LAND aber schon damals weiter. So wurden parallel zu den Wohngebäuden auch Kinderheime gebaut, die ihrer Zeit weit voraus waren. Jeder größere Wohnblock verfügte außerdem über eine zentrale Waschküche, die von bis zu 700 Mieterinnen und Mietern genutzt werden konnte.
Größenwahn und Gleichschaltung: Die Politik der Nationalsozialisten war auf ihre Kriegs- und Vernichtungsziele ausgerichtet. Zugleich sollte Berlin in die gigantomanische Hauptstadt „Germania“ verwandelt werden. Diesen Zielen mussten sich in der Zeit des NS-Regimes alle Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens unterordnen, so auch der Wohnungsbau. Die STADT UND LAND war als Unternehmen ebenso davon betroffen und wurde entsprechend „gleichgeschaltet“. (Dieser Teil der Firmengeschichte wird in der nächsten Ausgabe behandelt.)
Berlin als zerstörte Stadt, Millionen Menschen auf der Flucht und bald eine geteilte Nation – das war die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg. Und wieder lag eine der vorrangigsten Aufgaben darin, Menschen mit Wohnraum zu versorgen. In West wie Ost, in vier Sektoren unterteilt, ab dem Jahr 1961 durch eine Mauer für 28 Jahre getrennt.
Die STADT UND LAND wurde im Laufe der Jahre zum Inbegriff des Wiederaufbaus in West-Berlin; gemeinsam mit den weiteren landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. In den Fünfziger- und frühen Sechzigerjahren ging es zunächst vor allem um den Neubau von Wohnungen mit sozial verträglichen Mieten. Aspekte der Stadterneuerung kamen im Laufe der Jahre dazu, so beispielsweise 1963, als unter dem Regierenden Bürgermeister Willy Brandt das erste Stadterneuerungsprogramm beschlossen wurde. Die STADT UND LAND wurde Sanierungsträger für das „Rollberggebiet“ und wurde so, neben dem ebenfalls wieder zunehmenden Neubau, zur Sanierungsgesellschaft. Ziel der Maßnahmen war es, veraltete Bauten abzureißen und durch neue, qualitativ hochwertige Wohnungen zu ersetzen – und dies zu bezahlbaren Preisen. Wohnqualität und ein Städtebau, die den Menschen in den Blick nehmen, waren wieder das Gebot der Stunde.
Zu den großen, noch heute prägenden Neubauprojekten gehörten die John-Locke-Siedlung in Lichtenrade (1964–69) oder die High-Deck-Siedlung an der Sonnenallee (1975–84). Mit der späteren Landhaus-Siedlung Rudow hat die STADT UND LAND in den Achtzigerjahren das erste Bauvorhaben Berlins umgesetzt, das auch ökologische Gesichtspunkte einschloss.
Die Achtzigerjahre waren in West-Berlin von großen Konflikten rund um die Wohnungspolitik geprägt. Als Reaktion auf Leerstand in Altbauten, geplante Abrisse und hohe Spekulationsgewinne privater Investoren wurden in Kreuzberg und anderen Bezirken viele Häuser besetzt. Große Demonstrationen, Polizeieinsätze mit Wasserwerfern und Tränengas: Ein verhärtetes Klima prägte die Stadt. Mit dem Programm der „Behutsamen Stadterneuerung“, ausgehend von einer Initiative des Architekten Hardt-Walther Hämer, hat West-Berlin in den Achtzigerjahren den bis dato oft üblichen „Kahlschlagsanierungen“ ein Ende bereitet und einen neuen Weg beschritten. Die „Behutsame Stadterneuerung“ war erfolgreich durch ihre kleinteiligen und partizipativen Ansätze: Die bisherigen Bewohnerinnen und Bewohner wurden gezielt in die Sanierungsprozesse einbezogen. Ohne diese spezielle „Berliner Mischung“ aus Altbausanierung und Neubau wäre das heutige Berlin gar nicht denkbar. (Lesen Sie mehr dazu in der Herbstausgabe 2024.)
Mauerfall und Einheit: In der Nachwendezeit bekam das Thema Sanierung mit den vielen Großsiedlungen im Ostteil der Stadt noch einmal eine ganz neue Dimension, um die oft als „Plattenbauten“ geschmähten Quartiere zeitgemäß zu modernisieren. So konnte die STADT UND LAND auch in den östlichen Bezirken von den Erfahrungen der „Behutsamen Stadterneuerung“ profitieren. (Dazu mehr in der nächsten Ausgabe.)
„Arm, aber sexy“ – dieser Spruch des damaligen Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit hat die Nullerjahre in Berlin zusammengefasst. In dieser Zeit mit schrumpfenden Einwohnerzahlen wurde der öffentlich geförderte Wohnungsbau heruntergefahren. Doch die privaten Bauträger konnten dies alleine nicht auffangen – vor allem nicht, wenn es um bezahlbare Mietwohnungen ging. Spätestens 2014 wurde spürbar, wovor vorher schon einige gewarnt hatten: Der Wohnungsneubau in Berlin konnte den Zustrom von jährlich mehreren Zehntausend Neuberlinerinnen und -berlinern nicht mehr adäquat auffangen. Der Senat von Berlin steuerte um und beauftragte
die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften mit dem Neubau und den Ankauf von Wohnungen, so auch die STADT UND LAND: 2016 waren bereits rund 1.000 neue Mietwohnungen in Planung, im Jahr darauf waren schon 2.300 neue Wohnungen im Bau und weitere 2.400 geplant. Damit erhöhte sich der Bestand der STADT UND LAND in neun Jahren um über ein Drittel auf mehr als 52.000 eigene Wohnungen im Jahr 2023. Dabei ging rund die Hälfte der neuen Wohnungen dem geförderten Wohnungsmarkt zu.
Eines der größten zusammenhängenden Projekte sind aktuell die Buckower Felder: Am Südrand Neuköllns, direkt am Mauerweg, mit Blick ins Grüne, entstehen aktuell 900 Wohnungen in einem komplett neuen und sozial ausgewogenen Quartier. Ein städtebaulicher Vertrag regelt, dass auch die Bauherren, die neben der STADT UND LAND dort bauen, 30 Prozent ihrer Wohnungen mit öffentlichen Förderungen errichten – für Menschen mit kleineren Einkommen. 100 Jahre STADT UND LAND – gegründet, um in der Weimarer Republik Familien ein menschenwürdiges Zuhause zu geben, mit Licht, Luft und Sonne. Auch heute kümmert sich die STADT UND LAND um den Bau neuer Wohnungen, die deutlich größer, komfortabler und altersgerechter sind als in früheren Jahrzehnten; zur Linderung der Wohnungsknappheit unserer Tage, mit Fokus auf Berlin. Es bestehen allerdings neue Herausforderungen, um die Balance zwischen Klimaschutz, Bestandsanierung, Neubau und dem sozialen Zusammenhalt zu gewährleisten – die STADT UND LAND leistet hier auch weiterhin ihren Beitrag.
Ausblick
Lesen Sie Teil 2 unserer Chronik "Unruhige Zeiten!“ in der nächsten Ausgabe des STADT UND LAND Mietermagazins.