Berlin heute

Mindestens ein Jahr, gerne länger

Nur ein paar Hundert Meter vom Unternehmenssitz der STADT UND LAND entfernt gibt es in Neukölln-Rixdorf eine ganz besondere Adresse für Schülerinnen, Schüler, Azubis und Geflüchtete: Am Karl-Marx-Platz 20 unterstützt das Mentoring-Projekt Hürdenspringer junge Menschen beim Start ins Berufsleben. Auch die STADT UND LAND setzt sich für das Projekt ein.

Was kommt nach der Schule? Wie finde ich einen guten Praktikumsplatz? Welchen Beruf will ich erlernen? Oder soll ich vielleicht doch studieren? All das fragen sich Mädchen und Jungen im Teenageralter, wenn sie die Weichen für ihre Zukunft stellen wollen. „Nicht alle Jugendlichen finden in ihren Familien so viel Unterstützung, dass sie zielsicher die richtigen Entscheidungen für Schule, Ausbildung oder Studium treffen können“, erklärt Jane Daffy. „Das Schul- und Ausbildungssystem in Deutschland ist nicht so einfach zu verstehen. Da können nicht alle Eltern gleichermaßen aus eigener Erfahrung weiterhelfen“, ergänzt sie. Jane Daffy ist so etwas wie die gute Seele des Mentoring-Projekts Hürdenspringer in Neukölln. Das merkt man schnell. Sie brennt für das Thema und schafft es, auch andere mit ihrer Begeisterung anzustecken.

Doch der Reihe nach: Was ist überhaupt Mentoring? „Hürdenspringer unterstützt Menschen in herausfordernden Situationen bei ihrer selbstbestimmten Lebensgestaltung“, so heißt es auf der Website des Projekts. Hürdenspringer bringt Menschen zusammen – in Form von Tandems. Den teilnehmenden Jugendlichen wird ein lebenserfahrener Erwachsener zur Beratung an die Seite gestellt, eine Mentorin oder ein Mentor. Der englische Begriff für die Person, die beraten wird, ist Mentee.

Das Leben selbst in die Hand nehmen

Neben dem Alter unterscheiden sich oft auch die Lebenswelten der beiden Personen, die ein Tandem bilden, stark voneinander. Die bereits zitierten „herausfordernden Situationen“ umschreiben oft schwierige soziale Umstände, eine geringe Integration der Familie, oft auch Gewalterfahrungen oder eine Fluchtgeschichte. Da gilt es eben, viele Hürden zu überspringen, um die „selbstbestimmte Lebensgestaltung“ selbst in die Hand nehmen zu können.

„Wir sind die Anlaufstelle für alle Jugendlichen, die diese Form der Unterstützung wünschen“, so Jane Daffy. Die Mentorinnen und Mentoren helfen und unterstützen: sei es mit Nachhilfe, bei den Deutschkenntnissen, beim Verfassen von Bewerbungen oder bei der genauen Auswahl eines geeigneten Studiengangs. Damit die Jugendlichen überhaupt vom Projekt und den Chancen erfahren, ist Jane Daffy viel unterwegs. So wie auch ihre Kolleginnen und Kollegen besucht sie regelmäßig Schulen in Neukölln, Tempelhof und den angrenzenden Gebieten. Dann stellt sie das Projekt vor und hilft ganz konkret, schon die erste Hürde zur Kontaktaufnahme abzubauen.

Den Zugang zu den Jugendlichen findet sie schnell. Sie hat selbst zwei Kinder in ähnlichem Alter. Auch das „Interkulturelle“, also der Austausch mit Menschen unterschiedlicher Herkunft, liegt ihr am Herzen. Gebürtig aus Brandenburg hat sie unter anderem in den USA studiert und später drei Jahre mit ihrer Familie in Hongkong gelebt.

„Ich freue mich über jedes Mädchen und jeden Jungen, die zu uns kommen. Dann unterhalten wir uns ausführlich, um herauszufinden, welche Unterstützung nötig ist“, beschreibt sie die weitere Vorgehensweise. „Wir wollen in der Zusammenstellung der Tandems auch sicherstellen, dass die beiden Personen zueinander passen.“

Die Frauen und Männer, die den Beratungspart im Tandem übernehmen, kommen aus den unterschiedlichsten Berufen – vom Handwerk bis zu den akademischen Berufen, aus dem öffentlichen Dienst oder aus der Kreativbranche. Von jungen Erwachsenen in ihren Zwanzigern bis zu Menschen im Rentenalter ist die ganze Bandbreite abgedeckt.

„Wir sorgen für eine gute Einarbeitung der Mentorinnen und Mentoren. Niemand wird ins kalte Wasser geschmissen. Die Schulung umfasst bis zu sieben Termine mit jeweils drei Stunden“, so Jane Daffy. Bei einer gemeinsamen Veranstaltung in den Projekträumen finden sich dann die Tandems. „Mindestens ein Jahr sollten sie zusammen das Mentoring bestreiten; gerne länger. Und mindestens einmal pro Woche sollen sie sich für ein paar Stunden treffen, gerne auch häufiger.“

Ins Museum oder ein Eis essen

Die Treffen der Mentoring-Tandems können in den Räumlichkeiten am Karl-Marx-Platz stattfinden. Dort gibt es auch Computerarbeitsplätze, an denen die Mentees Hausaufgaben machen oder Bewerbungen schreiben können. „Viele Tandems sind aber auch in der Stadt unterwegs, gehen ins Museum, ins Olympiastadion oder auch mal ein Eis essen“, berichtet Jane Daffy.

Das wichtigste Anliegen bleibt aber stets der Austausch über die beruflichen Weichenstellungen der Jugendlichen. Die Mentorinnen und Mentoren helfen ihnen herauszufinden, was sie wirklich selbst wollen – unabhängig von den Erwartungen der Familie oder des Freundeskreises. Wo liegen ihre Stärken? Wie funktioniert eigentlich der Arbeitsmarkt? Was unterscheidet eine Ausbildung vom Besuch einer Fachschule und ein Duales Studium von einem klassischen Hochschulstudium? So ergeben sich oft ganz neue Perspektiven, und die Jugendlichen gewinnen enorm an Selbstvertrauen. Dann ist die nächste Hürde zum Verfassen einer Bewerbung und dem Absolvieren eines Bewerbungsgesprächs schon viel leichter zu nehmen.

Genau aus diesem Grund hält Jane Daffy neben den Besuchen in den Schulen auch regelmäßigen Kontakt mit vielen Unternehmen, die das Projekt unterstützen, um gemeinsame Bewerbungstrainings zu organisieren. „Seit rund zehn Jahren stehen wir auch in engem Kontakt mit der STADT UND LAND. Abgesehen von den Corona-Jahren finden in Zusammenarbeit mit der Personalabteilung Trainings in der Werbellinstraße statt, wie man sich als Azubi bei einem großen Unternehmen bewirbt. Wie bereite ich mich vor? Was ziehe ich an? Für die Mädchen stellt sich die Frage, wie stark sie sich schminken wollen“, erzählt Jane Daffy.

„Von Jogginghose bis zum bauchfreien Top, von schweren Goldketten bis zu langen künstlichen Wimpern: Wir sprechen ganz offen über alles, was geht und was nicht geht. Und ein Training in einem echten Unternehmen ist dazu extrem hilfreich. Für manche ist das ein harter Realitätscheck.“ Lachend fügt sie hinzu: „Denn manche Vorstellungen, zum Beispiel vom Beruf einer Immobilienmaklerin, sind bei den Teenagern anfangs doch eher von glamourösen Fernsehserien aus Los Angeles geprägt. Da hilft es doch sehr, in die echte Arbeitswelt reinzuschnuppern.“

Ein Tandem auf Augenhöhe

Am Training der STADT UND LAND hat auch Celine vor wenigen Wochen teilgenommen. Celine ist aktuell im Mentoring-Programm von Hürdenspringer. Die 18-Jährige besucht das Albrecht-Dürer-Gymnasium in Neukölln. Demnächst macht sie Abitur und plant schon für die Zeit danach.

„Das Training bei der STADT UND LAND war sehr interessant. Ich wohne auch in Neukölln, deshalb war mir das Unternehmen auch ein Begriff“, erzählt Celine. Vom Projekt Hürdenspringer hat sie in ihrer Schule erfahren, als Jane Daffy das Ganze dort vorgestellt hat. „Ich war mir damals noch unsicher, was ich später studieren möchte. Ich dachte zuerst an Medizin. Da bin ich einfach zu Hürdenspringer gegangen. Mit meiner Mentorin Doris kann ich mich dazu austauschen, sie gibt mir gute Tipps.“

Celines Studienwunsch hat sich mittlerweile geändert: „Ich entscheide mich für den Studiengang Bachelor of Nursing. Es ist ein Studiengang im Bereich Pflege. Damit kann man beispielsweise später die Pflegedienstleitung in einem Krankenhaus übernehmen.“ In den Gesprächen mit ihrer Mentorin Doris hat Celine ihre Vorstellungen präzisiert. Doris lebt auch in Neukölln, sie stammt ursprünglich aus dem Innviertel in Oberösterreich und arbeitet bei einem Start-up im Wedding. Die beiden jungen Frauen verstehen sich gut. Das ist ein Mentoring-Tandem komplett auf Augenhöhe, bestimmt auch über den eigentlichen Projektzeitraum hinaus.

„Viele unserer ehemaligen Mentees kehren ein paar Jahre nach dem eigenen Durchlaufen unseres Programms wieder zu uns zurück – und übernehmen die Rolle einer Mentorin oder eines Mentors“, erzählt Jane Daffy. „Das ist natürlich die größte Auszeichnung für uns.“

Seit das Projekt 2009 ins Leben gerufen wurde, hat das Hürdenspringer-Team vom Karl-Marx-Platz über 1.450 Tandems zusammengebracht und begleitet. So wurden nicht nur viele große Freundschaften gestiftet, sondern im vermeintlich Kleinen auch viel zur gesellschaftlichen Teilhabe beigetragen und die offene Gesellschaft gestärkt. Und das ist ein toller Erfolg.

PROJEKTINFORMATIONEN

Stiftung Unionhilfswerk Berlin
Mentoring-Projekt Hürdenspringer

Karl-Marx-Platz 20
12043 Berlin

Weitere Infos:
Telefon: 030 22327624
E-Mail: hts@unionhilfswerk.de
Webseite: www.huerdenspringer.unionhilfswerk.deDieser Link führt zu einer externen Seite

Die Mentoringprojekte unter der Dachmarke Hürdenspringer sind Projekte der Stiftung Unionhilfswerk Berlin, einem Träger der freien Wohlfahrtspflege mit Sitz in Berlin. Die gemeinnützige Stiftung bietet unter ihrem Dach eine Vielzahl von Projekten im Bereich des Bürgerschaftlichen Engagements an.

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